Wie ich zur Fotografie fand
Vorweg, die Fotografie stand nie auf meiner To-Do-List. Man könnte sagen, ich kam zur Fotografie, wie die Jungfrau zum Kind. Oder auch, es war ein reines reinschlittern und stolpern und eine Kombination aus Missverständnissen meinerseits.
Brauchst du noch was? Ja, einen Fotografen.
Ich wollte ein Bild, besser gesagt ein Bildcomposing erstellen, für das ich unbedingt Fotos von Socken brauchte. Im Internet gab es zwar einiges an Fotomaterial mit Socken drauf, aber eben keine geknoteten Socken, so wie ich sie brauchte. Bei einem Treffen für Bildbearbeiter sprach ich mit Florian, einem Hobby-Fotografen und er lud mich in sein kleines Homestudio ein. Einige Tage später bin ich mit einer Tüte voller bunter Socken zu ihm hin und ab da nahm dann alles seinen Lauf. Da war dann schon das erste Missverständnis.
Nicht er wollte meine Socken fotografieren, sondern ich sollte sie selbst fotografieren. Das Set war bereits aufgebaut und weitestgehend ausgeleuchtet. Er drückte mir seine Kamera in die Hand und sagte: „So, dann viel Spaß, oder brauchst du noch was?“ Öhm ja, einen Fotografen, ich weiß ja nicht mal wie ich deine Kamera einstellen muss und wo ist überhaupt der Auslöser?
Im Schnelldurchlauf bekam ich alles erklärt und nur 30 Minuten später stand für mich fest – ich will ab sofort öfters fotografieren. So fuhr ich dann einige Stunden später mit diesem Gedanken auch nach Hause. Nicht ahnen, dass damit eine neue Zeit eingeläutet wurde. Bis zu dem Tag dachte ich vorwiegen in X- und Y-Achsen, Polygonen und Bones, in Surface Maps und Renderzeiten. Also alles was zum Arbeiten in 3d-Programme wie Bryce, Cinema 4d und Poser dazu gehörte.
Die Sache mit dem Workshop-Platz
Ich hatte mich für den Workshop „Modelfotografie“ angemeldet. Aber nicht, weil ich da mitmachen wollte, sondern weil ich meinen Platz Florian geben wollte, bei dem ich die Socken fotografiert hatte. Er erzählte mir an dem Tag, dass er daran gerne teilnehmen möchte und die Plätze aber ausgelost werden. Da dachte ich mir, wenn ich mich auch anmelde, dann hat er doch die doppelte Chance. Ist logisch, oder?
Tja, konnte ja nicht ahnen, dass wir beide ausgelost werden. Was nun? Da hatte ich also einen Platz im Workshop und noch gar keine Kamera. Hinzu kam, dass ich auch gar keine Ahnung von Modelfotografie hatte und eigentlich – sie stand doch überhaupt nicht auf meiner To-Do-List.
Ich bekam von Florian eine Kamera geliehen und wir sind dann zusammen zum Workshop. Ich, die totale Anfängerin, hab mich da in den Dreck gelegt, hab mit den Bäumen, Sträuchern und Treppen im Bild gespielt. Ich fühlte mich irgendwie in meinem Element. Mir hat dabei wohl geholfen, dass ich schon einige Jahre lang mit Poser gearbeitet hatte. Poser ist eine 3D-Grafiksoftware, die 3D-Künstlern eine realitätsgetreue Positionierung und Gestaltung von menschlichen und tierischen Charakteren, inklusive verschiedener Hintergründe ermöglicht. Um damit Bilder zu erstellen und anschließend zu rendern (von 3D in 2D umzuwandeln), muss man sich auch mit Licht, Blende, Fokus, Perspektive, Bildaufbau und Bildausschnitt auseinandersetzen. Eben den Dingen oder Faktoren, die auch eine wichtige Rolle in der Fotografie spielen.
Mal eben in die Konzertfotografie stolpern
Ich hatte damals auch schon eine sogenannte Fanseite auf Facebook, auf der ich meine Bilder zeigte. Das waren so in etwa 2 oder 3 Fotos und einige von den Bildern, die ich mit 3D-Software und Bildcomposing erstellt hatte. Diese Tatsache schien einem Sänger nicht weiter zu stören. Er likte ein paar Bilder und ich fragte mich, was das für einer ist, der meine Fantasy-Bilder gut findet. Ich wurde neugierig und wollte wissen was Frank Börgerding für Musik macht. Da ich für ein anderes Foto eine Gitarre brauchte, schrieb ich Frank einfach mal an und bat um ein Foto seiner Gitarre. Ich will gar nicht wissen wie er geguckt hat. Er schickte mir ein paar Fotos und wir unterhielten uns in den nächsten Tagen auch übers fotografieren und über eine Fotoveranstaltung, bei der ich mitmachen wollte und es erneut um Modelfotografie ging. Ich hatte ja Gefallen daran gefunden, auch wenn Modelfotografie eigentlich nicht auf der To-Do stand. Aber he, die Listen sind eh überbewertet.
So weit so gut, bis der Abend kam an dem ich Frank falsch verstand. Ich verstand, dass er auch mal in einem Lost Place Gebäude Models fotografieren möchte. Am nächsten Tag erzählte ich dem Fotografen Florian davon und fragte, ob es für den Sänger noch einen Platz gibt. Florian meinte dann: „Bist du sicher, dass er fotografieren will und nicht selbst vor der Kamera stehen will?“ Öhm … öh … äh … naja, ne, nicht wirklich. Am Abend fragte ich vorsichtshalber bei Frank nach. Da war es, das nächste Missverständnis, denn er wollte ein Fotoshooting und nicht nur für sich, sondern für die ganze Band. … Ups, ähm, oha. Ja gut, man kann sich ja auch mal irren.
Das Bandshooting wurde dann kurzerhand mit seinem Management abgesprochen und ehe ich mich versah, hieß es auch schon, dass ich auch Konzertfotos machen kann/darf. Wie, was, Konzertfotos? Noch nie gemacht, steht auch nicht auf meiner To-Do-List. Aber wer bis hierhin gelesen hat weiß, dass ich mit ihr so ein kleines Verständigungsproblem hab.
Geübt wird bei Tom Beck
Ich hatte höllisch schiss, dass ich das mit der Konzertfotografie nicht packe. Ist halt was anderes als ein Model zu fotografieren. Also wollte ich vor dem Abend mit Franks Band einmal üben. Ausgesucht hatte ich mir dafür den Pinktober Gig von Tom Beck. Im Hard Rock Cafe Berlin spielte er mit seinem Gitarristen zugunsten von Brustkrebs Deutschland. Ich, wie gesagt null Ahnung von Konzertfotografie und auch nicht wissend wo man für den begehrten Fotopass anfragen muss, rief bei seinem Manager an und erzählte dem, was los war. Das ich gerne einmal üben möchte, bevor ich dann das Konzert im C-Club fotografiere. Ich war ehrlich, spielte mit offenen Karten und hörte dann. „Weil du so ehrlich bist, bekommst du den Fotopass. Melde dich an dem Abend bei mir.“
Der Abend kam und auch ich merkte dann endlich, dass doch Tom Beck weit aus bekannter ist als Börgerding. Also viele Fans anwesend sein werden und ich will da wirklich Konzertfotografie üben? Das kapierte dann auch sehr schnell mein Darm und reagierte prompt. Die 3 verbliebenen Tagen bis zum Gig hatte ich mein Tun mit dem Darm und ich überlegte ernsthaft, ob es nicht sinnvoll wäre, mir eine Rolle Klopapier einzupacken und auch schon alle auf dem Weg befindlichen öffentlichen Toiletten rauszusuchen. Zum Glück hatte ich meine ausufernde Nervosität doch noch rechtzeitig soweit in den Griff bekommen, dass ich den Weg auch ohne Unterbrechung schaffte.
Bühne? Wo?
Der Abend war also da und ich im Hard Rock Cafe angekommen. Auf der Suche nach Tom Becks Manager, wurde ich dann Backstage gebracht. Da stand ich Tom Beck und seinem Gitarristen Dennis Hormes gegenüber. Ich fragte nach dem Manager und hörte, dass er nicht vor Ort sein wird, man aber Bescheid wisse und alles ok ist, ich also fotografieren darf. Tom fragte mich auch gleich, ob ich die Bühne schon gesehen hab. Ich überlegte kurz und sagte dann: „Bühne, wo? Hab keine gesehen, gibt es hier denn eine?“ Tom guckte mich an und meinte nur, dass die Bühne doch groß sein soll. Von Dennis kam noch die Bemerkung, dass man die Bühne nicht übersehen kann. Mag ja sein, aber ich hab keine gesehen – ich war mir ganz sicher und außerdem, man nennt mich ja nicht umsonst ab und an „das blinde Huhn“. Naja, damit hab ich für einen Lacher im Backstage gesorgt. Der Sales Manager vom HRC kam dann auch schon und nahm mich quasi an die Hand. Ich erklärte ihm, dass ich noch nie ein Konzert fotografierte und heute der erste Abend sein wird und ich total aufgeregt bin. Er zeigte mir alles, gab mir den Ablauf (so mit Fotos an der Pressewand und so) und erzählte was von „3 Songs, no Flash, vom Graben aus“.
Als der Soundcheck war, bin ich mal kurz zur Bühne. Immerhin kannte ich da ja schon Weg und ja, sie war groß genug, um nicht übersehen zu werden. Auf der Bühne erblickte ich dann eine Frau, die gerade ein Stativ für eine Kamera aufstellte und ich sagte zu ihr: „Du machst bestimmt die Fotos für das Management? Dann kann ich mir ja bissel was von dir abgucken.“ Sie guckte mich an und sagte: „Nein, du machst doch die Fotos, wir verlassen uns auf dich.“ Hä, wie, was? „Ich? Kann nicht sein, ich bin Anfängerin und heute ist mein erster Abend in der Konzertfotografie.“ Sie lächelte und meinte nur, dass ich es schon schaffen werde.
Mein Darm meldete sich auch gleich wieder zu Wort und ich hoffte nur noch, dass der Abend schnell vorüber geht. Irgendwie ahnte ich schon, dass die Blamage mit der übersehenen Bühne noch nicht alles war, dass ich da noch einen draufsetzen kann.
3 Songs, no Flash
Das kleine Charity-Konzert begann und nach dem 3. Song gingen alle Fotografen aus dem für uns abgesperrten Bereich (dem Graben) wieder raus, nur ich nicht. Ich wunderte mich zwar, dachte mir aber, wenn die anderen halt nicht mehr wollen hab ich mehr Platz. 3 Songs, no Flash aus dem Graben – heißt im Fotografendeutsch, dass die ersten 3 Songs fotografiert werden dürfen, ohne Blitzlicht und man danach aus dem „Graben“ gehen muss und auch nicht mehr fotografieren darf. In meinem Anfänger-Fotografendeutsch hieß es aber: die ersten 3 Songs ohne Blitzlicht, danach ist es egal und ich muss auch nicht aus dem Graben, sondern darf auch mal auf die Bühne, um Fotos zu machen. Man kann ja auch mal was falsch verstehen. Außerdem hatte ich das Management vorgewarnt, kann ja nix dafür, dass sie mir nicht glaubten.
Ich hab den Abend überlebt und es nahm mir auch keiner übel, dass ich diese 3 Songs Regelung nicht kannte. Übrigens holte mich auch keiner aus dem Graben oder von der Bühne und ich fotografiere noch heute im und für das Hard Rock Cafe Berlin.
Obwohl ich die Konzertfotografie nie auf meiner To-Do-List hatte, sollte dieses Konzert auch nicht das erste und letzte gewesen sein. In den darauffolgenden Jahren kamen noch viele weitere kleine und große Konzerte dazu. Bei denen ich dann auch immer die Bühne fand, ehrlich.
Dennis, ich möchte dich shooten
Für das Tom Beck Abschlusskonzert in Köln, bei dem Börgerding auch Supporter war, hatte ich einen Gästelistenplatz bekommen und bin nach Köln gefahren. Nach dem Konzert bin ich dann vor die Halle und sah Dennis Hormes mit seiner damaligen Verlobten stehen. Wir winkten uns zu und ich bin stolpernd zu ihm hin – ich bin da wirklich über einen Stein gestolpert – und sagte dann auf einmal auf den letzten Stolperern: „Dennis, ich will dich zum Shooting haben!“. „Ja cool, wann und wo? Bei dir in Berlin?“ … Hä, was hab ich denn da gerade gesagt, das steht doch gar nicht auf meiner To-Do-List. … „Carmen, bei dir in Berlin das Shooting? Carmen?“ … Ich brauchte paar Sekunden um zu kapieren, dass er nicht dankend ablehnte, sondern zugesagt hatte.
Dennis Hormes, einer der richtig guten deutschen Gitarristen und ich, immer noch die Anfängerin und total unbekannt. Das Shooting fand dann im Frühjahr 2012 statt, er war ja noch mit dem Musical Rocky Horror Picture Show auf Tour. Das war dann auch das erste Shooting mit einem Musiker, denn das mit Frank Börgerding und seiner Band musste aus Zeitmangel bei den Bandmitgliedern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Zusammenfassend für 2011 kann ich nur noch sagen: „Stand so nicht auf meiner To-Do-List, aber hat sich halt so ergeben.“ Egal wie verrückt das erste Jahr war, ich möchte keines der vergangenen 10 Jahre Fotografie missen.
Ich war für das Tierhilfe Netzwerk Europa in einem polnischen Tierheim, für die Südafrikanische Botschaft in Berlin fotografierte ich eine Spenden-Gala. Frank Walter Steinmeier und auch König Carl Gustaf mit Königin Silvia von Schweden standen schon bei Presseterminen vor meiner Linse. Wer überlegt, wie nervös ich da war und was wohl mein Darm dazu sagte – nur so viel, ich hatte ein Déjà-vu. Ich hatte die Ehre ein Kampagnenmotiv für die Kältehilfe der Berliner Stadtmission zu erstellen. Mein coolstes Model war bisher der Obdachlose Michael, den ich für die Berliner Stadtmission zu einem anderen Shooting hatte. Oh Gott und ich war als Fotografin auf der Berliner Fanmeile bei der Fußball WM 2014. Eines meiner krassesten Erlebnisse, zumal ich so gar kein Fußballfan bin. Ach ja und mit einer Band war ich auf dem Rock Harz Festival, als deren Fotografin. Übrigens ein Aprilscherz von mir, der nur paar Wochen später wahr wurde.
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